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Beschleunigte Folklore

Bergungsort Dmanisi – “Die ersten Handwerker Europas”
Der spektakuläre Fund in Georgien, eines fast zwei Millionen Jahre alten fossilen menschlichen Schädel, wurde 1999 zu einem wissenschaftlichen Großereignis. Bereits seit den 1930er Jahre wurde auf einer Anhöhe, in der Nähe des kleinen Dorfes Dmanisi gegraben. Zwischen Fossilien ausgestorbener Tiere, Knochenresten und Werkzeugen, siebten Paläoanthropologen 1991 einen steingewordenen menschlichen Unterkiefer aus Kaukasischer Erde. Der Fund ließ sie tiefere Schichten vorstoßen, bis dann der 1,78 Millionen Jahre alte, weibliche Minischädel zutage gefördert wurde. Die Geburt Europas…

Cesare Lombroso, “Degeneration als Zeichen angeborener Kriminalität” Ende des 18. Jahrhunderts, in der Zeit des beginnenden Weltbürgertums, attestierte der Theologe und Physiognomiker Johann Kaspar Lavater den Juden Adlernase und spitzes Kinn als typische Merkmale und Erkennungszeichen gegenüber der platten Nase und wulstigen Form der Lippen von Negern. Waren das die beiden Enden einer goldenen Mitte, eines griechischen Ideals? Seit Blumenbachs Determination konnten zwar die Rassen bestimmt, nicht aber deren Gesinnung entlarvt werden. Herr Lavater träumte davon Verbrechen zu verhindern, in dem der Mensch das Böse, den Atavismus und den Mangel an Charakter vom Gesicht des Menschen ablesen könne.
Das sollte kein Traum bleiben. 1863 veröffentlichte Herr Cesare Lombroso ein Buch, mit dem Titel “Genio e follia”. Hier beschrieb er ausführlich die Wissenschaft der Physiognomik. Kriminelle Männer und Frauen waren kenntlich an ihren riesigen Kiefern und hohen Backenknochen, Henkelohren und anderen angeblichen Degenerationen. Geisteskranke und Primitive konnten so wissenschaftlich markiert werden. Das verpflichtete jedoch die Wissenschaft dazu alles Niedere zu messen. Herr L. begann als Erster Körpergrößen zu eichen, statistisch zu erfassen und das Böse am Menschen akribisch zu dokumentieren. Er fertigte tausende Plan- und Messblätter von verschiedenen “Verbrechervisagen” an und mahnte, dass die Gesellschaft nur vor dem zum kriminellen Leben verdammten Menschen zu schützen sei, in dem der Natur durch “wohlerwogene Auslese” mit Hilfe der Todesstrafe geholfen werden konnte.

Johann Friedrich Blumenbach – “Definierte menschliche Natur als ästhetische Kategorie” – Die Schädelsammlung des Herrn Blumenbach.
Im 18. Jahrhundert galt Schönheit als Maß aller Dinge. Schönheit, das ist Ordnung. Wider dem Chaos der Zeit. Und die Idee der griechischen Schönheit lieferte den Idealtypus. Ihr Ebenmaß brachte den Menschen mit Gott und der Natur in Berührung und die Symmetrie der Gesichter ins Fadenkreuz der Wissenschaft. Ihr Geheimnis musste entschlüsselt werden. Schönheit oder Hässlichkeit wurde zum Hauptmerkmal von Stämmen und Völkern. Blumenbach war der Erste, der die vergleichende Anatomie in den Rang einer Wissenschaft erhob, in dem er eine rassische Klassifikation deklarierte.
Mit objektivem Blick prüfte und verglich er die Gestaltung der Schädel. Ordnete Rassenmerkmale und definierte so fünf sich wesentlich unterscheidende Stämme – den kaukasischen, äthiopischen, mongolischen, amerikanischen und malaiischen.
Seine Sammlung umfasste 850 Schädel aus aller Welt. Im Ausschlussverfahren mit Augenmaß, legte er Schädel an Schädel auf einen Balken und blickte auf die Reihung. Übermaß wurde entfernt, Ebenmaß geadelt. Als Krönung der Selektion erwies sich der knöcherne Überrest einer jungen Kaukasierin. Und somit apodiktisch die schönste Rasse der Menschheit. Die Kaukasische Rasse.

Das Schweigen des Herrn Rübezahl – Grabungen im schlesischen Himmelreich

Herr Rübezahl
Grabungen - Rübezahl

Frank-Walter Steinmeier
Steinmeiers Reisen

Völkerkunde
Im Land der beschleunigten Folklore
Das Unbekannte reizt und eine Sehnsucht nach der Ferne wird es immer geben. Das Fremde kommt zu uns oder wir suchen sie. In jedem Fall wird das Fremde beobachtet, bewertet und analysiert. Wie das Fremde gemustert wird, ist abhängig von den auferlegten Regeln der Wissenschaft. Zumeist sollte das Unbekannte durch einen Anthropologen oder Ethnologen bewertet werden. Diese sind fachspezifisch ausgebildet und geschult im Blick. Muster werden erkannt und mit Kommentaren versehen. Bloße Beobachtung ist Wertlos wie Kunst, die nicht gesehen wird. Zu viele Fakten müssen transformiert, Systeme erkannt und Mechanismen der Rückkopplung eruiert werden. Am besten geschieht dies vor Ort. Ideal wäre eine Feldforschung im Reinraum, unverfälscht und authentisch. Wertungen können so direkt und zeitnah erarbeitet werden, um heimisch verklärende Denkmuster auszuschließen.

Herold als Beobachter im Land der Aborigines 1992

Herr Walter Baldwin Spencer, einer der ersten, wenn nicht gar der erste Ethnograf mit filmischer Ambition, war sich sicher, dass die Schreibmaschine und der Fotoapparat als wertvollstes Instrument seiner Wissenschaft die Hauptlast der Arbeit übernimmt. Film konnte daraufhin nur die fixierten Thesen illustrieren. Das bewegte Abbild der Wirklichkeit selbst zum Mittel wissenschaftlicher Erkenntnis einzusetzen, musste da schon revolutionär erscheinen. So aber sollte ausgeschlossen werden, dass westliche Denkmuster und deren Begrifflichkeiten die fremden Gesellschaftsformen subordinieren. Klassische Anthropologen bevorzugten also eine Methode, Wirklichkeit auf strenge Binarität hin analog zu formalisieren.
Aber auch auf diesem Gebiet vollzog sich durch neue technische Möglichkeiten ein Umdenken. Das Monopol der Schrift musste weichen. Herr S. jedenfalls erntete bei seinem öffentlichen Vortrag in der Melbourne Town Hall, im Juli 1902, frenetischen Beifall, als er mit zwei Filmen seiner Horn-Expedition manch „trockene“ Ausführung untermalte. Schon 1894 nutzte er alle ihm zur Verfügung stehende technische Möglichkeiten seiner Zeit, um die Arbeit des Ethnographen umfassend zu dokumentieren. Neben Glasplattenfotografien, Wachszylinder zur Archivierung von Gesängen etc., nahm er fast 1000meter Film auf. Vielleicht datierte Jean Rouch den 4.April 1901 als exakte Geburtsstunde des ethnografischen Films, da Spencer genau an diesem Tag einen Känguru-Tanz und eine Regenzeremonie der Aborigines filmte und diese später gerne als „eyecatcher“ für seine Vorträge benutzte. Der Wissenschaftler wollte ursprünglich mit der filmischen Registratur primär das Verhalten fremder Kulturen speichern und erst im zweiten Schritt wissenschaftlich Intern, das im Ausschluss von Amateuren analysieren, wurde aber vom Interesse und dem „tosenden“ Beifall des Publikums ermuntert, diese Ordnung zu überdenken.

4. 4. 1901 exakte Geburtsstunde des ethnografischen Films
Die Horn-Expedition bei den Aborigines, Übergabe eines offiziellen Schreibens in offizieller Pose.

Ein vermeintlich besseres System, um Muster und kulturelle Typologien jenseits westlicher Ordnung zu bestimmen.
Für die Nachwelt ist diese Methode ein Vorteil. Das dokumentarische Material vom Kommentar ihrer Zeit befreit, lässt festgelegte Denkmuster verschwinden und neu beurteilen. Ratsam wäre dementsprechend für die Wissenschaft, ein “lockeres Denken” im analytischen Ansatz der Bewertung von Bildern… … Stille.

Beschleunigte Folklore 2010 – 2022
Seit mehr als zwei Jahrhunderten beschreiben Anthropologen in sehr komplexen Beobachtungen die Lebensformen der Menschen. Ihr Verhalten in Gesellschaft, Ort und Zeit. Sicher sind einige Missverständnisse betreffs Wertigkeit und Klassifizierung entstaubt, aber nie einvernehmlich beseitigt worden. Rassenkunde führte zur europäischen Fremdherrschaft und Kolonialismus in vielen Teilen der Welt. Und noch heute treffen starre Ideologen auf eine breite Zuhörerschaft, die sich leicht durch eine „Wissenschaftlichkeit der Menschenkunde“ verführen lassen. Instabile Regierungen, wirtschaftlich schwache Regionen, ethnische Konflikte und naives Denken bildungstechnischer Institutionen sind indirekte Folgen des Kolonialismus und beleben bis in unsere Gegenwart wieder und wieder menschenverachtende Strukturen. So wurden noch 1998 in einem vom früheren DDR-Schulbuchverlag „Volk & Wissen“ veröffentlichten Themenheft über Farben in der Natur unter anderem angeblich existierende Menschenrassen thematisiert. Im Buch ist konkret von negriden, mongoloiden und europäischen „Rassenkreisen“ die Rede. Auf einer Kapitelseite werden auch vermeintlich typische Vertreter gezeigt, inklusive einer Beschreibung ihrer angeblichen Rassenmerkmale – wie dicke Lippen, untersetzter Körperbau oder Gelbton der Haut. Dazu passend wurden die Zehntklässler in einer schriftlichen Übung dazu aufgefordert, Schaubilder mit verschiedenen Nasen- und Augenformen zu beschriften und diese den vermeintlichen Rassen zuzuordnen. Entsetzte Eltern hatten sich in der Folge an die Politik gewandt, um Aufklärung vom Bildungsministerium zu erhalten. Seit 2004 ist die „Menschenkunde“ nicht mehr Teil des Lehrplans, aber es sei angemerkt, dass für die Fächer Religion und Ethik, gemäß der geltenden Schulgesetzgebung der Schulleiter für die eingesetzten Lehrmittel verantwortlich ist und es kommt noch heute vor, dass an einigen Lehranstalten auf das rassistische Lehrmaterial zurückgegriffen wird.

Der Dokumentararchäologe im Land der beschleunigten Folklore
1992 wurde als regionale Entwicklungsinitiative der Asien Development Bank ins Leben gerufen. Unter dem Kürzel GMS, Greater Mekong Subregion, nimmt sich dieser vor allem mit Infrastrukturprojekten unter Vorgabe regionalen Wirtschaftswachstums und Armutsbekämpfung dem Straßenbau, Ausbau der Infrastruktur und Kraftwerksbau an
Beteiligt sind Myanmar, Laos, Thailand, Kambodscha, Vietnam und die chinesische Provinz Yunnan. Daraus ergeben sich nicht nur Chancen für eine friedliche Integration ehemals verfeindeter Staaten, sondern auch eine Reihe sozialer Probleme in einer Region, die eine immense ethnische Diversität aufweist.
Idealerweise könnte die GMS eine Region sein, die arbeitsteilig, je nach Ressourcenverfügbarkeit, wirtschaftet und die Bedürfnisse ihrer Bevölkerung durch eigene Produktion befriedigt. Keine zusätzlichen Ressourcen würden von außerhalb gebraucht und die Stärken jedes einzelnen Landes könnten so im Produktionsprozess optimal verwertet werden. Ich bin kein Fachmann in Wirtschaftsökonomie, betrachte also den Prozess der Akkumulation nur Oberflächlich aus der Sicht des Reisenden, welcher die Planung seiner Route über das ihm zur Verfügung stehende Material in Europa organisiert, bemerke aber prinzipiell, dass sich auf dem Papier der GMS, seit 2010 ein zum Teil ambivalent dynamischer Aufwärtstrend der Entwicklung beobachten lässt. Schon 2010, das Jahr meiner ersten Reise von Thailand über Kambodscha, Südvietnam, Nordvietnam und von Laos zurück nach Thailand, nach 10 Wochen 3000km langer Routenführung durch urbanes Terrain und abgeschiedener Landschaft, bemerkenswert: der GPS Empfang und die Netzabdeckung in der Region war für meine Arbeit völlig ausreichend. Ich konnte an jedem Ort der Reise meine E-Mails bearbeiten und größere Datenpakete ohne lange Wartezeiten versenden. Ein Vorteil, über den ich in meinem Heimatort im Herzen Mecklenburgs nicht verfüge. Die Infrastruktur war in Thailand und Vietnam, den wirtschaftlich starken Ländern gegenüber Laos und Kambodscha gut bis sehr gut ausgebaut. Nur Thailand bot die Möglichkeit online ein Auto zur autonomen Nutzung zu mieten. Die restlichen drei Länder verfügten über keinerlei Angebote ohne Fahrzeugführer meine anvisierten Ziele zu erreichen. Ein Umstand der sich 2020 gebessert hat, so jedenfalls meine Recherche im Netz, was die Anmietstationen Vientiane und Phnom Phen betrifft. Vietnam scheint PKWs noch immer nur mit Fahrer zu vermieten, so jedenfalls setzt AVIS seinen Chauffeurdienst in Klammern unter seine preisintensiven Angebote. Also sollte ich mich wieder auf quälende Verhandlungen mit ortskundigen Fahrern in diesem Wirtschaftsraum der GSM einstellen. Prinzipiell war die Bereitschaft der Angefragten Personen groß, sich für meine Filmarbeit 30 Sekunden in „ruhende“ Position, besser noch in Stillstand zu bringen. Wenige Gegenfragen wurden gestellt, zumal ich als männliche Person vornehmlich Männer angesprochen habe und über diese, falls notwendig mit Frauen „verhandeln“ konnte. Die geschulte, fast professionelle Pose des Tourismus erprobten indigenen „Objektes“ in erschlossenem Gelände sollte vermieden, kam aber aus Unverständnis meines Anliegens kaum zur Geltung. Ein „Aufrecht-Stand“ den ich mir gewünscht hätte, um nicht in die klassische Falle des Besuchers zu tappen die zu „ehren“ meiner angelegte Kostümierung als authentisch zu betrachten. 54 Positionen wurden so erarbeitet. 10 Stunden Videomaterial, von dem letztendlich 50 Minuten in einer Still-Sammlung agierender Subjekte Verwendung fanden. Alle Positionen wurden per GPS-Datenerfassung kartografisch erfasst und können nun bei meiner zweiten Reise 2020 dokumentarisch hinterfragt werden.

Über das Bewusstwerden kultureller Verbindungen
Historisch begründet, jedoch ein Phänomen neuzeitlicher Staatengründung, sind ethnische Gruppen, die in einem Land staatstragend sind, im Nachbarland eine Minderheit darstellen. Etwa die Thai in Vietnam, Khmer in Thailand, Lao in Kambodscha. Das bedeutet, dass sich zur verstärkten regionalen Zusammenarbeit auch das Bewusstsein für eine kulturelle Verbindung entwickelt hat. Diese gemeinsame Identität steuert vor allem die Tourismusindustrie, nach ökonomischen Vorgaben erarbeiteter Konzepte der GMS. Der Plan sieht vor, dass der Reisende als „single-tourist-destinator“ die Regionen als zusammengehörige Einheit wahrnehmen muss. So ist eine Region im Entstehen, die sich vom Himalaya-Ausläufer Yunnans bis zum Mekongdelta Vietnams streckt. Alle Länder des GMS haben das Potential der Devisen- und Einkunftsmöglichkeiten erkannt und investieren eifrig in die Strukturen. So schuf man gemeinsam die Mekong Tourist Organization, in der alle Verbindungen und kulturellen Phänomene gebündelt und vermarktet werden können. In einem werbenden Papier wird auch freudig resümiert „Schon jetzt machen BesucherInnen aus den GMS-Ländern einen hohen Prozentsatz der TouristInnen der Region aus. VietnamesInnen reisen zum Shopping mit Billig-Fliegern nach Bangkok; Thais besuchen die alte Königsstadt Luang Prapang, um einen Eindruck vom beschaulichen Lebensstil ihrer Vorfahren zu bekommen, oder pilgern nach Pagan, um sich in der Tempelstadt die Zukunft vorhersagen zu lassen“.

Fortschritt?
1992 wurde als regionale Entwicklungsinitiative der Asien Development Bank ins Leben gerufen. Unter dem Kürzel GMS, Greater Mekong Subregion, nimmt sich dieser vor allem mit Infrastrukturprojekten unter Vorgabe regionalen Wirtschaftswachstums und Armutsbekämpfung dem Straßenbau, Ausbau der Infrastruktur und Kraftwerksbau an
Beteiligt sind Myanmar, Laos, Thailand, Kambodscha, Vietnam und die chinesische Provinz Yunnan. Daraus ergeben sich nicht nur Chancen für eine friedliche Integration ehemals verfeindeter Staaten, sondern auch eine Reihe sozialer Probleme in einer Region, die eine immense ethnische Diversität aufweist.
Eine enorm dynamischer gesellschaftlicher Wandlungsprozess geht in dieser Region von statten, von dem in Europa kaum Notiz genommen wird. Vor allem die Verdrängung traditioneller Lebensweisen und die zunehmende Marginalisierung ethnischer Minderheiten im Zuge der nationalen kulturellen Homogenisierung sind Prozesse, die in allen sechs Staaten beobachtet werden können. Probleme ins besondere, in der unterschiedlichen Beteiligung sozialer gruppen am Wirtschaftswachstum und der Verlust indigenen Wissens. Andererseits ist der Austausch von Wissen ein positiver Indikator, welcher sich auf die kulturelle Entwicklung transnationaler Minderheiten auswirken könnte.
Heute ist es möglich, von der Westgrenze Thailands bis nach Danang, an der vietnamesischen Küste auf einer einzigen, gut ausgebauten Straße, dem East-West Corridor zu reisen. Ein weiterer Ausbau der Corridor ist vorgesehen, so dass bald alle Regionen durch Verkehrsadern des North-South, Northeast, Southern-Verbundes für den schweren Transport und der touristischen Erschließung zugänglich sein werden. Subregionen wachsen und verbinden sich mit Handelscentren. Industrieregionen können günstig mit notwendigen Ressourcen versorgt werden. Es gibt Pläne, gemeinsame Grenzkontrollen einzuführen, die Steuer zu vereinheitlichen und Handelsbeschränkungen der sechs GMS Mitglieder zu reduzieren. Vor allem also der wirtschaftliche Ausbau ist das primäre Ziel. Im Bewusstsein der Akteure sollen „Kriegs-Schauplätze in Handelsschauplätze“ verwandelt werden. Nach Jahren der Kolonisation, Befreiungskämpfen und Stellvertreterkriegen der Supermächte, sollten nun nur noch ökonomische Siege gefeiert werden.
Um nicht nur dem wirtschaftlichen Aufschwung zu dienen, erweiterte die ADW (Asien Development Bank) 2002 für den GMS ihre Unterziele, Humanressourcen zu erhalten und zu betreuen, die Umwelt zu schützen und die Nachhaltigkeit der Ressourcen zu unterstützen. Einige Höhen und Tiefen durchfluteten die Anrainer bis heute. Einige Subregionen wuchsen stärker als andere Weltregionen, hingegen konnten keinerlei Auswirkungen auf ihre Volkswirtschaft verzeichnen.

Industrielle Brandrodung
Auf der anderen Seite ist die Bilanz der Armutsreduktion enttäuschend. Eine immer größer werdende Schere zwischen obersten und untersten Einkommen ist die Folge des Wirtschaftswachstums. Besonders die ethnischen Minderheiten erfahren keine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Nach Jahrzehnten der Armutsbekämpfung setzt sich langsam aber sicher die Erkenntnis durch, dass sich Armut und Wirtschaftswachstum nur bedingt negativ proportional zueinander verhalten. Ähnlich verhält es sich mit den Unterzielen Umweltschutz und Bildung. Konfliktbeseitigungsstrategien in Streitfällen zwischen zwei oder mehreren Staaten, ergeben kaum praktische Lösungen, was dem flüssigen Handel nur schadet. Folgeerscheinungen dieser Misswirtschaft, ergeben sich auf sozialer und ökologischer Ebene und mindern den Glauben der Gemeinschaft am Erfolg der Vision der GMS.
Besonders auf lokaler Ebene sind die Folgeerscheinungen negativer sozialer Entwicklung sichtbar. Eine Schlechterstellung ethnischer Minderheiten zur Mehrheit belastet noch immer das erhoffte Selbstverständnis einer Gleichberechtigung im Zusammenleben von Gemeinschaften.
In Thailand endete mit dem Tod König Bhumibols 2016 nach 70 Jahren Regentschaft die Ära der Nachkriegs- und Kolonialzeit und des Kalten Krieges. Thailand sucht sich neu zu bestimmen und tritt damit nach einer Zeit der sozialen und wirtschaftlichen Kämpfe in eine weitere Phase der Unsicherheit ein, welche die gesamte Region in Turbulenzen zu stürzen vermag. Dies gilt insbesondere für die kleinen Nachbarstaaten wie Kambodscha und Laos, welche aufgrund des Verlustes einer ausgleichenden Macht verstärkt den Schutz Chinas und Vietnams suchen, ihn in Anspruch nehmen und so noch mehr unter deren Einfluss fallen dürften. Schwierig auch, im Vielvölkerstaat Laos, Ethnien und Regionen klar miteinander zu verbinden und so eine eindeutige Aussage zur überregionalen Zusammenarbeit zu formulieren. Um diesem Problem aus dem Weg zu gehen, verfolgt Thailand den Weg der inneren Kolonisation in Form einer „Zwangsthaiisierung“. So werden die vielfältigen Bevölkerungsgruppen unter ethnisch einheitlicher Flagge gepresst und kulturelle Divergenzen negiert. Das Ergebnis führt zu Verwerfungen unterschiedlicher Intensität. So wurden regionale Baustile durch Kopien zentralthailändischer Tempel verdrängt oder „weiche“ Merkmale lokaler Kultur als „Thai“ okkupiert. Dadurch bedarf es einer langfristigen Strategie, kulturelle Traditionen zurück ins Gedächtnis zu rufen und darüber hinaus wiederzubeleben.
Rodung und Abwanderung junger Menschen vom Land in die Industriezentren tragen zur schlechten wirtschaftlichen Situation regionaler Bevölkerungsschichten bei. Vor allem der Nordwesten Südostasiens weist ein starkes Gefälle gegenüber dem wohlhebenden Süden mit seinen küstennahen Industriecentren auf. Dabei geht es nicht nur um Prostitution in den touristisch erschlossenen Gebieten und deren Serviceindustrie, ganze Heerscharen junger Frauen verdienen ihr Geld damit, Markenlabels als billigst produzierter Designartikel für die westliche Kundschaft zu produzieren. Und was die Rodung weiter Flächen betrifft, ist deren Nachhaltigkeit stark in Zweifel zu ziehen. Auf brandgereinigten Böden wird nur Reis angebaut, was zur Auslaugung und folgender Versteppung der mageren Dschungelerde und zum Trockenanbau führt. Einerseits ist zu bemerken, dass sich die Lebenserwartung durch die Industrialisierung der Landwirtschaft und der beginnende Ausbau einer touristischen Infrastruktur verbessert haben, was jedoch eine schlechtere wirtschaftliche Situation einzelner Menschen zur Folge hat.

Kulturelle Brandrodung
In einer Zeit, in der wir uns Sorge um unsere natürlichen Ressourcen und die Erschöpfung unseres Planeten machen müssen, sollten unsere Bedenken auch dem Verlust kultureller Ressourcen Beachtung finden. Gerade die Zerstörung an geistigen Werten durch die Dampfwalze der globalen Standardisierung, lässt das kulturelle Erbe zu einer „nebulösen“ Identität erstarren und als platte Stereotype einer exotischen Illusion erscheinen. Was Kolonisatoren nicht zu bändigen und ideologischer Konformismus nicht zerstören konnten, gerät nun unter die Räder des digitalen Fortschritts. Wie aber kann, ein mancherorts noch eben feudal bewirtschaftet, umzingelt vom jahrtausendealten Einfluss Chinas, gekappter marxistischer Trugbilder und laufenden Amerikanisierung, kulturelle Identitäten bewahren? Kulturen verändern sich. Müssen in Bewegung bleiben sonst sind sie eine tote Kultur, ein mumifiziertes Ideal: reif für das Museum.
In ihrer Vielfalt ist die Kultur einzigartig. Kultur sollte zu diesem inneren Widerspruch stehen, denn nur durch ihre Lebendigkeit der Unterschiede hält sie sich in Spannung, verschmilzt oder grenzt sich ab. Dominiert oder geht in Opposition, schützt so ihre Identität. Es wäre also Illusorisch zu glauben, dass ein identitärer Anspruch des „reinen“ Wesens vom harten Kern einer Kultur bewahrt werden muss, um den „Geist“, die „Seele“ oder die „Mentalität“ eines Volkes zu erhalten. Anpassung ist eine wesentliche Eigenschaft von Kulturen, deren Werte über tausende von Jahren bestehen konnten.
Ein nicht einfach zu gestaltender Prozess des ent- und wieder reidentifizierens, des ständigen Hinterfragens gemeinsamen Gehens auf verschiedenen Wegen. „Affenbrücken“ nennt der französische Philosoph Francois Jullien sein Buch über die Überwindung kultureller Abstände und Erweiterung des westlichen Denkens. „Affenbrücken“ galten in ihrer fragilen Bauweise als einzige Möglichkeit mit dem Gleichgewichtssinn eines Affen die Flüsse zu überqueren. Heute werden die federnden Bambusstangen durch steife Betonbrücken verdrängt. Zeichen des Fortschritts, aber für Jullien auch ein symbolischer Akt, der von uns eine Erweiterung des Wertedenkens fordert um nicht wieder in die Falle der Reproduktion von Kolonialismen zu tappen. Anstatt uns auf Werte zu berufen, die, unveränderlich und voreingenommen nachwirken, müssen wir beginnen, uns auf kulturelle Ressourcen zu stützen, um eine künftige Diversität zu bewahren.

Affenbrücke

Herr J. ist Franzose und steht hundertprozentig zu den Ressourcen der französischen Kultur. „Ich schütze sie“ schreibt er in „Affenbrücken“; „so vielfältig und veränderlich wie diese ist. Ressourcen und nicht Werte: Werte sind die Vektoren einer Selbstbehauptung und schreiben sich, egal was behauptet wird, in ein Kräfteverhältnis ein; während Ressourcen unbegrenzt exportfähig verwertbar und allen zugänglich sind. Werte, das sollten wir ebenfalls einsehen, werden rasch exklusiv – Werte gegen Werte; Ressourcen dagegen sind kumulativ, sie verzahnen sich, befruchten sich gegenseitig und vermehren sich.“
So sieht L. auch die Kunst der Brückenquerung als kulturelle Ressource, die im Begriff ist zu verschwinden. Verschwinden wird auch die Art, wie man sich fortbewegt, die Behändigkeit und Körperbeherrschung, die Wachsamkeit und Beherrschung der Reflexe. Weitergegeben von Generation zu Generation. Verändern wird sich auch die Art, wie man auf etwas zugeht, an etwas festhält, sich sichert und seine Gedanken ordnet. Heute sind diese Brücken selten. Abgelöst vom Standard Modell, mehr als einen Meter breit, gleich hoch mit symmetrischer Basis. Praktisch, bequem, stereotyp, steif. Auf ihr ist kein Gleichgewichtssinn notwendig. Jahrhundertelanges Training der klugen Nutzung des Körpers unnötig. Der Alltag wird bequemer aber auch weniger sinnlich durch das moderne Management. Mehr und mehr wird sich der „Waldmensch“ dem Tempo des Städters anpassen und nur bei der Begegnung mit dem Touristen seine Pseudo-Fremdartigkeit in einem gekünstelten Schauspiel als Theater des „Indigenen“ im geschmückten Kostüm das Leben des „edlen Wilden“ vortäuschen. Dieses Phänomen ist natürlich ein allgemeines. Es tritt überall dort auf, wo der Tourismus kontrastreich und als entgegengesetzte Lebensweise mit Minderheiten in Kontakt tritt. Die Indigenen, dazu gezwungen ihre Lebensweise aufzugeben, täuschen nun dem Gegenüber vor das einfache Leben zu „genießen“. Spielen den „Indigenen“, nur, dass sich Beide nichts vormachen: der Tourist ist aufgeklärt über die Künstlichkeit des Dramas und der Andere will mehr schlecht als recht nur überleben. Wie J. es beschreibt: „Der Eine will um jeden Preis sein Verlangen nach Exotismus befriedigen, der Andere will überleben, indem er seine vorgebliche Andersartigkeit ausschlachtet, um sich besser zu assimilieren“.
Wie aber kann ein solches Kippen verhindert werden. Welche Möglichkeiten hat ein Besucher in der Fremde, an den vermeintlich entlegensten Orten „indigener Zonen“ falsche Spontanität des Willkommens und gespielter Gastfreundlichkeit zu entzaubern um beide Parteien zu entkrampfen und das Zusammensein nicht durch falsche Sentimentalitäten und Erwartungen zu belasten. Kann dem „dealenden“ Gastgeber überhaupt das Gefühl vermittelt werden, gleichberechtigt auf einer Ebene zu agieren. Geben und Nehmen als verklärtes Ritual. Das schöne Bild vom gemeinsamen berauchen der Friedenspfeife. Quasi-rituell, die Bestätigung: es gibt nur Sieger.

Die beiden Sieger

Wie also sich dem Anderen im Fremdenverkehr nähern, ohne auf das Wechselspiel der Manipulation Rücksicht nehmen zu müssen? Wie die Lust zum Abenteuer befriedigen, ohne eine Spur der Verwüstung in den entlegensten Regionen der Erde zu hinterlassen? Denn klar ist; der Tourismus ist ein ernstzunehmendes Pendant zur Wissenschaft und überzeugender Wirtschaftsfaktor. Er reguliert ökonomische Ströme, befriedet, baut die Infrastruktur vom Zentrum in die Peripherien aus, verhindert Abwanderung der Jugend aus den Peripherien in die Städte, fördert die Verwaltung umwelttechnischer Ressourcen. Betreibt aktiv Entwicklungshilfe auf dialogischer Ebene. Lernen sollten dabei beide Akteure: die, die Suchen und die, die sind. Alles ist möglich im Einverständnis, im Erkennen der Lage, der Situation des Anderen. Einzige Bedingung: wir alle sollten in der Lage sein, unser ethnozentrisches „Wert“-Urteil zu neutralisieren. Herr Jullien schreibt dazu: „Ich habe angefangen das indigene Wissen Einverständnis (connivence) zu nennen, im Gegensatz zur Erkenntnis (connaissance), was uns dazu Anlass gibt, es zu reflektieren. Während die Erkenntnis ihr Wissen konstruiert und expliziert, lässt es das Einverständnis „mit den Augen zwinkern, um sich unausgesprochen zu verständigen“.
Herr J. beginnt nun mit der Gegenüberstellung beider Begriffe, die ich in A, B und C zusammenfasse: A: Einerseits ist die Erkenntnis eine Form des Wissens und das Einverständnis die Form des Verhaltens. Erkenntnis setzt, so Jullien, eine Spaltung, einen Bruch vom Subjekt zum Objekt voraus, wo hingegen das Einverständnis von dieser radikalen Form der Trennung des Eigenem zum „Entgegengeworfenen“ nicht ausgeht. B: „Während die Erkenntnis diskursiv und methodologisch gelehrt wird, knüpft sich das Einverständnis, webt sich Tag für Tag, ohne dass man darauf hinarbeitet, selbst ohne dass man daran dächte, daran zu denken“. C: „Während die Erkenntnis auf unterschiedlichen Ebenen vorgeht, die sich in Fachgebiete aufteilen und parallele oder zu hierarchisierende Bereiche bilden, ist das Einverständnis nicht aufgeteilt und entwickelt sich umfassend“. Das Einverständnis ist das Gemeinschaftliche einer Beziehung hervorzukehren. Es (ver)führt zur Intimität zwischen Menschen, Objekten und Landschaften, in dem es allem eine Persönlichkeit zuweist. Die Stärke des Einverständnisses liegt in seinen Möglichkeiten zu integrieren und nicht im Erkennen, dem Erforschen. Und resümierend über die Erkenntnis schließt J. ab: die Erkenntnis gibt vor heroisch zu sein, weil sie vorgibt auf Distanz zu erobern. Auch dramatisiert sie das Erkennen durch herbeigeführte Brüche. Das sind klare Zuweisungen zweier Denkmodelle, von denen wir alle wissen, aber nicht gelernt haben das Einverständnis zu gebrauchen. Es ist der Modus sich in ein Innen zurückziehen zu können: des Familiären, des Lokalen und es Indigenen; dessen, was einem Außen nicht Rechnung trägt oder dieses so wenig wie möglich an seiner Entstehung beteiligt. Seine Stärke besteht in der Integration nicht in der Erforschung. Es wird viel mehr durch das Teilnehmende als durch das Trennende bestimmt. Bei der Problemlösung vertraut es der konkreten Situation mehr als einen vorgefassten Plan; es berücksichtigt eher die Umstände als das angestrebte Ziel.
Es gibt zwei Wahlmöglichkeiten. Entweder blockiere ich die Entwicklung indigener Völker und erhalte ihre Pseudoidentität aufrecht um die Touristen zu ködern, aber diese Andersartigkeit wird nur noch oberflächlich sein, oder, wollen wir die letzten „Naturvölker“ schnellstens integrieren um diese vor dem Aussterben zu retten? Beides, das ist klar, zieht den endgültigen Verlust an kulturellen Ressourcen nach sich. Es gibt also keine Alternative. Oder? Wir lassen dieser Entwicklung ihren Lauf, weil das Ergebnis unvermeidlich sein wird. Die Assimilation und die Dekulturation laufen dann passiv ab und allein nach den Gesetzen des Marktes. Regionen, die unvermittelt mit der modernen Welt in Kontakt treten, erkennen dann ihren Rückstand und erkennen ihre „Armut“. Die Auswirkungen sind bekannt. Zukunft hat nur, wer die Arbeit selbst verwaltet. Die Eigenproduktion, die Bewohner an Ort und Stelle entwickeln können, eine sicher unbefriedigende aber grundlegende Tatsache. Ansonsten werden unerbittlich jegliche Potenziale durch eine Fremdwirtschaft abgezapft, outgesourst. In jenen Regionen, wo eine echte lokale Produktion gefördert wird, sind die Bewohner die einen Betrieb aufbauen imstande, ihre Würde zu behaupten. Untätigkeit, in diesem Sinne, reduziert die Rolle des „Indigenen“ auf betteln und Statistik einer Touristen betreuenden Kostümierung.
Jetzt, in dem Moment, in dem wir beginnen, hier wie dort, aus unserem Ethnozentrum herauszutreten, die kulturelle Diversität zu erkennen und lernen sie als Ressource zu betrachten, schreitet die weltweite Standardisierung und Uniformierung in Form der Globalisierung unaufhaltsam fort. Plötzlich ereignen sich in den entlegensten Regionen der Welt Dekulturationen und Verfall der Vielfalt. Das universelle Konzept der uniformierten “Vernunft“, die durch die Produktions- und Medienwerkzeuge bestimmt werden, erschaffen aus Bequemlichkeit Standards des Stereotyps. So gibt es kaum noch Platz für den Zwischenraum, das Ungewöhnliche zuzulassen. Dagegen kann man nur zum Wiederstand aufrufen. Vielfalt und Dissens sind Tugenden, die wiederbelebt werden müssen. Das Einverstehen auf Abstand und „Aufrecht-erhalten“, im Sinne des „Aufrecht-stehens“ einer selbstbewussten Körperspannung, und Gemeinsinn fordernden Pflege veruntreuter Orte, muss bestimmender Konsens im Miteinander indigener Völker und westlicher Zivilisation sein. Denn nur ein Erforscher des Abstandes ist ein echter Reisender und das genaue Gegenteil eines auf „exklusive Unterhaltung“ ausgerichteten Tourismus.

Jörg Herold – Der Dokumentararchäologe im Land der beschleunigten Folklore -
eine dokumentarische Gegenüberstellung aus dem Jahr 2010 und 2020
Konzeption zur Erarbeitung einer Video-Doppelprojektion
Seit Jahren arbeite ich an einem umfassend künstlerischen Projekt zur Dokumentararchäologie. Eine künstlerische Produktion im Wortsinn eher zu bezeichnen als künstlerische Forschung.
Dabei verstehe ich mich als “Zeitzeuge”, formuliere Fragen zur Geschichte von Kulturen und Objekten, welche Einzüge in unser kollektives Gedächtnis erlangt haben und hinterfrage verfestigte Positionen. Im Video-Projekt „beschleunigte Folklore“ konzentriere ich mich auf den Prozess des Verschwindens historisch gewachsener Werte deren finale Wertung dem Dritten im Bunde, dem Publikum überlassen werden soll.
“Vor zehn Jahren begann ich mit dem Projekt „beschleunigte Folklore“, ferne Orte zu bereisen. Dabei begegnete ich zufällig Menschen verschiedenster Ethnien, in Städten im Wald und auf dem Land. Denen, denen ich begegnete, gab ich die Hand. Bestimmte so einen stillen Moment der Zeit. Stellte Persönlichkeiten in Position, brachte Charaktere für wenige Sekunden vor die Kamera. Zehn Jahre später reiste ich an dieselben Stellen, dokumentierte die Aktivitäten der ersten 53 Orte und hoffte auf Alte-Neue Begegnungen.“
Zurzeit sichte ich das erarbeitete Film-, Bild- und Schriftmaterial dieser beiden Jahre. Es entstand eine umfängliche Sammlung von mehreren Stunden Filmmaterial, hunderte Bilder und Dokumente. Es sind Berichte vom Verschwinden einiger Kulturen indigener Völker des Mekong-Gebietes. Thailand, Kambodscha, Vietnam und Laos. Der Abstand von zehn Jahren beschreibt erstaunlich, wie Menschen diesen Ländern die Umbrüche nach brutalen Kriegen und fremdbestimmter Landnahme überstehen und die Dynamik des neuen asiatischen Jahrhunderts, das Bild der Menschen in dieser Region neu formen. „Dabei habe ich beobachtet: Wo die gelebte Kultur verschwindet, wird sie zur Folklore – und kann nur noch tot in Museen und Archiven bestaunt werden. Ein Kahlschlag an Diversität, welcher auch auf die westliche Welt Einfluss haben wird.“
Ich werde also Filme schneiden und eine Dokumentation der beiden Reisen in Form einer digitalen Mediencollage erarbeiten. Angedacht sind ca. 20min Film als Doppelprojektion und eine digital, netzgebundene Dokumentation zum Projekt. Bestehend aus Texten, Kommentaren und Bildern.
Ich bitte Sie mich bei der Erarbeitung der Mediencollage, Filmschnitt, Digitalisierung von analogen Materialien, Bildscannung und Übersetzung von Texten ins Englische finanziell zu unterstützen.
Begegnungen 2010

Die Hmong
Die Hmong siedeln in Südostasien seit dem frühen 18.Jahrhundert und sind als ethnische Gruppe in fünf GMS Ländern, außer Kambodscha vertreten. Ihre geographische Zerstreutheit führte in der Hmong-Kultur schon früh zu Clan- bzw. Netzwerkstrukturen sowie einer starken kulturellen Identität und ausgeprägtem Unabhängigkeitsbestreben. So waren sie eine der ersten Gruppierungen, die sich im kolonialen Indochina gegen die europäischen Kolonialisten auflehnten. Im Vietnamkrieg richtete sich der Unmut jedoch gegen die kommunistischen Guerillas und so spielen die Hmong eine unrühmliche Rolle auf Seiten der USA gegen die Mehrheitsbevölkerung in Vietnam und Laos. Nach dem Ende des Krieges 1975 rächten sich die Regimes und es kam zu einer riesigen Auswanderungswelle nach Amerika, während die, die zuhause blieben, streng überwacht und in ihre Bewegungsfreiheit behindert wurden. Jedoch mit den Jahren lockerten sich die Einschränkungen, da die Regierenden die Angst vor einer „Hmongverschwörung“ verloren.

Nord-Thailand, die Lisu und Karen

Der Dokumentararchäologe 2010 bei den Lisu

In der Mundus Reihe Ethnologie, Band 91 erforschte in den Jahren 1997/98 Roland Platz, die Bedeutung der Migration am Beispiel der Lisu und Karen in Nordthailand. Bei seinem Feldforschungsaufenthalt berücksichtigte Platz besonders die ökonomischen Probleme der thailändischen Gesellschaft. Wobei seine Beobachtungen auch auf die Auswirkungen der Minderheitenpolitik Thailands hinsichtlich der Vereinheitlichung aller ethnischen Gruppen Rückschlüsse auf die Entwicklung geben sollten. Wichtigstes Ergebnisseiner Studien, bezeugten jedoch, dass eine Abgrenzung der Minderheiten, das gilt für Dorfbewohner und Migranten gleichermaßen, gegenüber der dominanten Gesellschaft und Kultur weitgehend erhalten blieb, auch wenn sich die Inhalte ethnoscher Identität oder der Grad der Abgrenzung ändern. Selbst gebildete Angehörige von Minderheiten in Nordthailand sind aufgrund ihres ausgeprägten Akzents als ethnische „Nicht-Thai“ identifizierbar und erschwert eine vollständige Integration in die Thaigemeinschaft. Platz resümiert auch, dass sich die ethnischen Grenzen bei den Lisu und Karen unterschiedlich gestalte. Dabei seien die Lisu profitorientierter, innovationsfreudiger und gehen leichtfertiger mit Ressourcen um als die Karen. Sie passen sich daher besser in die auf Konsum ausgerichtete Thai-Gesellschaft an. Die Lisu hätten, so die Erfahrung des Herrn Platz, auch weniger Unterlegenheits- bzw. Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den Thai. Die Karen hingegen leben zwar 100 Jahre länger mit ihren Thai-Nachbarn zusammen, aber sie halten eine Abgrenzung zu dieser immer noch für ratsam, zumal sie in ihrer Religion christlich geprägt sind. Den Zusammenhalt als Dorfgemeinschaft erachten sie als wichtiges Gut, um sich besser gegen das tendenziell feindliche Außen erwehren zu können. Die Selbsteinschätzung der Karen als unterdrücktes, aber moralisch hochstehendes Volk bleibt wirksam.

Lao in Laos
Mit der Öffnung des Landes 1995 und dem Verlust identitätsstiftender Ideologien, suchen die Lao immer mehr nach Kulturelementen, die das „Laosein“ verfestigen. Einerseits um die kulturelle Identität zu bestimmen, andererseits um ihre nationale Bestimmtheit besser an zahlende Touristen verkaufen zu können. Dabei ist dem Lao der bisher „verhasste große Bruder“ Thailand Vorbild. Seine Strategien der wirtschaftlichen Erfolge und das selbstbewusste Auftreten, werden mit großem Interesse verfolgt und in vielen Bereichen adaptiert. Dabei konzentriert sich der Blick eher auf den Nordosten Thailands, dem Isan, mit seiner besonderen dynamischen Kultur. In dieser Region belebten besondere Formen der traditionellen dörflichen Musik und Rituale das gemeinschaftliche Leben. So „reimportierten“ die Lao z.B. die zentrale Kunstform des MoLam, die sich in dieser abgelegenen Region unbehelligt von weltpolitischen Turbulenzen entfalten konnte. Auch das durch die Partei früher verpönte Fest des Bun DuaenHok, ein mit Feuerwerk und selbstgebauten Raketen beschwörende Bitte um eine reichhaltige Ernte, wurde wiederbelebt. Grenzübertretendes Vertrauen entwickelte sich auch aus Gründen der ökonomischen Situation beider Regionen. Zum Teil ähneln die Sprachen, Kultur- und Glaubensvorstellung des Isan und der Lao. Zumal die als verarmte Minderheit gegenüber den Thai geltenden Reisbauern sich ebenfalls um eine Identität stiftenden dynamischen Kulturentwicklung als Abgrenzung zum Mehrheitsvolk der Zentralthais bemühen. Es gibt eigene lokale TV-Stationen die in Regionalsprache senden und Geister verehrt, die sich von jenen der großen Thai stark unterscheiden.

Vietnam oben und unten
Der vietnamesische Nationalstaat umfasst nach eigener Angabe 54 verschiedene ethnische Gruppen unterschiedlicher demographischer Größe. Seit der Gründung der Sozialistischen Republik werden neben Minderheiten der Viet alle anderen Gruppen als nationale Minderheiten charakterisiert, die „zur großen Familie“ des kommunistischen Staates gezählt werden. Die meisten Minderheiten siedeln im nördlichen und zentralen Bergland. Die Cham, eine vor allem im Mekong-Delta lebende Minderheit, waren in ihrer Geschichte ein staatstragendes Volk, gründeten Königreiche und Fürstentümer und verteilen sich in ihrer Sprachausdehnung auf die südostasiatische Inselwelt bis Borneo und Malaysia und Kambodscha.

Erstes Treffen 2010 – beschleunigte Folklore

Kambodscha
Von vier schwedischen Kommunisten, welche 1978 im Schlachthaus Kambodschea Nichts gesehen haben (wollen)
Jörg Herold
Der Dokumentararchäologe im Land der beschleunigten Folklore”
Jahr: 2010; Größe: 21cm x 14,8cm; Material: digital bearb. Fotografie, Wasserfarbe
Vier schwedische Intellektuelle um Jan Myrdal reisten 1978 ins Kambodscha Pol Pots. Trotz Zwangsarbeit, Hunger und Massenmord im Land der Roten Khmer verfassten sie optimistische Reiseberichte. Die Reisegruppe bekam von den Massenmorden nichts mit, so sagen sie. Die Schweden waren angetan vom Neuaufbau des Landes, von den wohlgenährten, freundlichen, offenen Menschen und dem Bau neuer Staudämme, Fabriken und Plantagen. Der Weg der Roten Khmer zum Kommunismus: Die totale Ausmerzung von Privateigentum und Individualität. Besitz führe zu Egoismus. Die Großstadt galt als Sündenbabel: Kinos, Bars, ungezügelte Sexualität, Müßiggänger. Das einfache, genügsame Leben auf dem Land war das Ideal, ein puritanischer, reiner Kommunismus.

„Voller Tisch“ Foto Gunnar Bergström 1978 Jörg Herold Wasserfarbe über digital bearbeitete Fotografie, 21cm x 14,8cm, 2010
Vier Freunde im Land Pol Pots 1978
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Jörg Herold