Ikonologie des Performativen
Super-8-Film: Laufmal – Denkmal, eine Performance zur Nationalen Selbstfindung 1990
Performanz erzeugt Bilder. Bilder werden zu Handlungen und Handlungen erzeugen Performativität. Ein immerwährender Moment von Wahrnehmung, Adaption und Aktion. Wahrnehmung hier als Akt zur Bewusstwerdung ikonografischen Denkens. Denken in Bildern als Regieanweisung einer Inszenierung szenischer Handlung. Wir können die Aussage drehen und wenden wie wir wollen, beides bedingt sich und scheint der Motor unserer Genese zu sein.
Greift der Künstler in diese Bewegung ein, wird dieser Akt zum Denk-Akt. Bilder generieren sich zu Anweisungen kreativer Intervention über ihre projizierte Fläche hinaus. Was wir dann sehen, bedingt die Wahrnehmungssituation. Wie wir sehen, wird kollektiv ausgehandelt. Nennen wir es Kunst, vollzieht sich dieser Akt auf der Ebene von Zeichen und Gesten, Abhängig von Kontakt. Das Theater als vorbildhaftes Wahrnehmungsmodell, bespielt einen Ort des idealisierenden Maßes durch Herausstellung von Objekten und Zuordnung von Zeichen. Der (nur) Zuschauer wird eingebunden in einen Lehrer Schüler Diskurs und so auf Distanz gehalten. Die Sichtfläche ist gerahmt und damit in ihrer Bildhaftigkeit begrenzt. Diese Statik des Handelns provoziert regelrecht den Ausbruch aus der Fläche in einen virtuellen Raum. Nennen wir diese „Wildheit“ Performance, besetzen also „Wilde“ im Akt einer spontanen Intervention offene Räume, in denen sich die Ordnung der Dinge auflöst. Dem Betrachter ist zu raten, diesen implodierten Bildraum als Fiktion, im Idealfall als leere Bildfläche ohne Begrenzung zu sehen. In dessen Reinheit der Fläche frei „gearbeitet“ werden kann. Der Betrachter wird so zum Regisseur einer Inszenierung deren einzige Vorgabe es ist, von ihm vollendet zu werden.
Kaspar Hausers Dschanna
Herr Carl Gustav Jung beschreibt in seinen „Beobachtungen über das Erinnerungsvermögen“, „dass das Vergessen nicht die irrelevanten Reaktionen, sondern die bedeutungsvollen Komplexreaktionen betrifft, dass die Erinnerungsstörung mit dem starken Gefühlston der Reaktion zusammenhängt“- eine sogenannte „Erregtheit der Betrachter“, Hysterie als Selbstbetrug. Sehen, wo es nichts zu sehen gibt.
Ein schönes Beispiel dafür sind die Spekulationen über die Herkunft Hausers. Dabei schienen vor allem die Impfnarben am Körper des Findelkindes seine adlige Herkunft zu beweisen. Früh amtlich manifestiert als unverrückbare Tatsache durch ärztliche Bestätigung. Zumal „seine erhabene Gesamterscheinung deutlich auf die angeborene Würde hinweist“. Eine betonierte Basis der Beweisführung unzähliger Historiker, dem wilden Kind eine hohe Geburt anzumaßen. 1995 aber kommen Aufzeichnungen an die Öffentlichkeit, in der Daumer, Hausers erster Pflegevater, in seiner „Erste Aufzeichnung über Kaspar Hauser“ 1838 vermerkt: „Geimpft ist Hauser nicht, wie anfangs behauptet!“. Entlarvend für die Institution Wissenschaft als kreative Einrichtung, in der im Kaspar-Hauser-Fall allgemeine Vermutungen durch die „Wissen-schafft“ (nur) bestätigt werden sollte. Deutlicher noch, die Öffentlichkeit wurde mittels Nachweis der Authentizität von Ergebnissen durch eine erregte Zeitzeugenschaft verpflichtet, sich der selbsterfüllenden Prophezeiung unterzuordnen. Der Zusammenhang von Erregung und Wahrnehmungstrübung von Zeitzeugen ist deutlich, dass aber tausende Nachrezipienten im Laufe von Jahrzehnten gleichbleibend starke Gefühlswallungen ergreifen, ist schwer nachvollziehbar. Enttäuschend zu sehen, wie weit sich das Rezeptionsgeschehen vom Auslöser entfernt hat und wie sich jede weitere Veröffentlichungswelle auf die vorhergehende „Wahrheit“ rückbezieht. Interessant, das Hauser in dieser Geschichte Wahrhaftig bleibt, und wir eher Besorgt sein sollten um die Mechanismen der Vermarktung von Wissenschaftlichkeit, deren Deutungshoheit auf historisch verbürgte Grundwerten des kollektiven Gedächtnisses basiert. Gründe genug für die Existenz einer „Institution von Außenseitern“, die ständig insistieren und als Regulativ in Prozesse der Wissensvermittlung eingreifen. Hier sehe ich den Künstler in der Pflicht. Ich „gestatte“ der Kunst natürlich schön zu sein, aber sie darf, besser sie muss auch nerven.
Hauser als poetisches Inkarnat
Gar nicht so lange her, dass ein italienischer Philosoph in seiner „Experimentellen Ästhetik“ den Begriff Vagheit einführte. Eine ästhetische Erfahrung im ersten Blick, als vage Bestimmung der Sinnlichkeit. Wir erfahren zwar die Wirklichkeit als real, aber noch nicht fest umrissen. „erst in einer näheren Bestimmung, dann, wenn wir diese auf Bekanntes beziehen, wird das Unmittelbare bestimmt.“ Maurizio Ferraris schreibt weiter: „Sehen, Tasten, riechen ist insoweit erst nach unseren Intentionen gewiss. Sie sind uns als unmittelbar unbestimmt sicher und insofern auch wieder unsicher. Registriert, werden sie nach Maßgabe unserer Kenntnis.“ Der Blick auf das Andere ist ein erleben, eine Projektion der Selbstbestimmung. Eine bejahende Bestimmung unseres selbst, im findenden Denken. Nicht die Welt ist für uns verfügbar nur das Erleben der Welt. Ein schönes Bild des Vagen. Des sich nähern an das „In-uns-bestimmt-sein“. Einer Selbstbestimmung als Subjekt im Prozess der Beobachtung der Welt. Die Welt als Welt des Erfahrenden. Schon vor 200 Jahren experimentierte Herr Goethe in seiner Farbenlehre, mit der Unmittelbarkeit des Sehens, der Empfindung, der Sinnlichkeit. Damit stellt er seine poetische Kraft dem reinen Analytiker Newton gegenüber und beschreibt „Es ist nicht diese Physik, die sich im Bild der Welt repräsentiert. Vielmehr ist die Repräsentation der Welt zunächst als eine Eigenpräsentation des Subjekts zu fassen, das sich diese Welt in der ihm eigenen Dimension des Erfahren-Könnens verfügbar macht“ und kürzt ab, mit den Worten “Das Subjekt ist als Subjekt zu objektivieren, um das Objekt als Objekt erfassen zu können.“ Goethe stellt Herrn N. damit zur Rede, „seine Physik findet die Abbildbarkeit des Objektes als Messung, jedoch nie als Unmittelbarkeit einer Erfahrung. “ Dabei fragt sich G., “ ob nicht überhaupt, das was sich nicht in den von der Physik dargestellten Gesetzmäßigkeiten findet, überhaupt Objekt einer analytisch verfahrenden Naturforschung sein kann? Folge ich der real analytischen, objektivierenden Sicht, wäre das Subjekt ein bloßer Störfaktor in der Ansicht der Welt, wie sie objektiv zu zeichnen wäre. Die Farbsicht wäre demnach immer eine Fehlsicht“. Leider enttarnt 200 Jahre später Roger Penrose das Problem des Subjektiven als Scheinproblem. Herr P. versucht das Hirn, der Ballungsraum all unserer Sinnesorgane, als bloßen Spiegel der Außenwelt zu beschreiben. Ein Spiegel, der sich nach den Bildern des Außen formt. Das Hirn ist ein in der Evolution entwickeltes Organ, das nur die Notwendigkeiten der Welt reflektiert in der es entstanden ist. Nicht Sinnlichkeiten siegen nur reiner Überlebenswille. Aber dafür bleibt uns das Vage des Philosophen aus Italien erhalten. Genug Spielraum sich zu qualifizieren.
Für Kaspar Hauser, dem spektakulär aufgetauchten Findeljungen aus Nürnberg, bleibt dieser Diskurs ohne direkte Auswirkung auf seine Lebensführung. Für ihn blieb in den ersten Jahren seines Lebens die Welt dunkel und leer. Ende 1989 las ich auf einer Reise von Leipzig nach Nürnberg, seine Geschichte. Im Roman „Kaspar Hauser oder die Trägheit des Herzens“ von Jakob Wassermann, geschrieben 1908 begegnet ich zum ersten Mal dieser bewegenden Geschichte. Ich las von seiner Ankunft in Nürnberg, seiner Domestizierung und Tod. Auf dieser Reise nach Nürnberg wurde ich zu Hauser. Die Dopplung beider Biografien war unverkennbar. Ich, entlassen aus einem begrenzten Raum statischen Denkens hinein in eine bewegte Zeit neuer Erfahrungen.
Pictographisches Alaphabet
Ab der Veröffentlichung dieses Romans, setzt die theoretische Auseinandersetzung mit dem literarischen Stoff der Person des Kaspar Hauser ein. Hauser, und da sind sich alle Rezipienten einig, ist ein Kunstprodukt, der in seiner mustergültigen Natürlichkeit von den Errungenschaften seiner Zeit bedroht wird. In Folge der Rezeptionsgeschichte wird jedoch nicht nur die Figur Hausers in seiner Zeit und im Roman bespiegelt, beindruckend oft auch die Autorenschaft, inklusive ihres motivatorischen Ansatzes bis hin zur Beweisführung antisemitischer Vorurteile oder Homosexualität. Vermerkt sei auch, dass Hauser in einer Person, wie vor ihm und folgend keiner, Poesie und Wirklichkeit ideal verschmelzend darstellt und so auch in Zukunft Inkarnat in der Bemaßung des neuen Menschen sein wird. Es galt also bei der Lektüre viel zu bedenken und aus der Ferne zu beobachten. Dennoch, umso näher ich Nürnberg kam, wärmte mich die Naivität Hausers, der „heilige Narr“ und beschwor mir seine Bruderschaft. Wie Hauser in seiner Zeit bei Ankunft auf dem Nürnberger Unschlittplatz „hart hereinstürzte“, glitt auch ich in die Moderne. Auffällig in diesem Sinne das Motiv der Zwangseingliederung „Gottes wilder Schöpfungen“. Der radikale Blick der beiden H.s auf das neue, unbekannte und Sinne öffnende. Alles musste neu vermessen werden, obwohl kein führendes Maß mehr existierte. Verwirrend und schwer zu handhabende Systeme der Kommunikation und Verwaltung mussten auf ihre Wertigkeit geprüft und erstmalig verhandelt werden. Kürzungen und Maßlosigkeiten erwiesen sich als sperrige Hindernisse und wurden entsorgt. Neue Räume öffneten sich, Brücken querten narbige Landschaften, Straßen transportierten exotische Waren. Gemeinsam wurden Sicherungen entfernt um Kulturen neu zu verorten
Das Fremde verfremdend. HeroldHauser treffen sich im dritten Raum
Selbst die scharfe Kontur des blattähnlichen Gitters, welches als Silhouette durch den Luftschacht an die gegenüberliegende Wand geworfen wird, erscheint ihm, als würde etwas direkt aus der Wand wachsen.“Vorgesehen“ als Serie Jörg Herold „Pictographisches Alphabet“
In diesem Zwischenreich des erweiterten Raumes, provoziert H. seine erste kompensatorische Reaktion. Er blüht auf, wird offener dem Fremden gegenüber, nähert sich seinem Gegenüber. Eine Begegnung ist unvermeidlich aber er spürt, ein Treffen auf Augenhöhe wird es an diesem Ort nicht geben. Zu viele Brüche der Sprache behindern das Selbstverständnis der Bilateralität. Ein Treffen auf neutralen Boden wäre die Lösung. Ein intermediärer Raum. Ein Nicht-Ort, physisch nicht existierend. Ein unerkannter Denkraum, ein vorübergehendes Nest.
Ausgestattet mit unterschiedlichem Wissen getrennter Kulturen beginnen die Verhandlungen. Schnell wird klar, H. ist nicht Hauser und Hauser nicht H. Ein gemeinsames Denken fordert die Bereitschaft zur Methode. Struktur erleichtert das Kommunikative aber ein Übermaß an Inhalten verstopft die Kanäle. Zumal sich der Gebrauch von Symbolen und Gesten wiedersprechen, trotz vermeintlicher Klarheit. H. liest Nein als Ja und umgekehrt. Hauser kennt keine Nähe. Nähe macht Angst. Gesten werden falsch gedeutet und übersetzt. Das Missverstehen nicht ausgeschlossen. In dieser Atmosphäre der räumlichen Nullung, ist die Verhandlung des Wissens neutral, unverbindlich bindend, distanziert komprimiert. Hoffnungen auf Versprechen werden nicht formuliert. Ein Ziel nicht benannt. Dennoch übertragen sich Daten und Bilder. Es entstehen Formen der Katharsis. Raumfüllend. Noch unaussprechlich, fremd aber sichtbar. Der Zugriff ist möglich.
Kaspar Hauser als poetisches Inkarnat
Ende 1989 las ich auf einer Reise von Leipzig nach Nürnberg, den Roman „Kaspar Hauser oder die Trägheit des Herzens“ von Jakob Wassermann, geschrieben 1908. Eine bewegende Geschichte, gelesen in (m)einer bewegten Zeit. Ab der Veröffentlichung dieses Romans, setzt die theoretische Auseinandersetzung mit dem literarischen Stoff der Person des Kaspar Hauser ein. Hauser, und da sind sich alle Rezipienten einig, ist ein Kunstprodukt, der in seiner mustergültigen Natürlichkeit von den Errungenschaften seiner Zeit bedroht wird. In Folge der Rezeptionsgeschichte wird jedoch nicht nur die Figur Hausers in seiner Zeit und im Roman bespiegelt, beindruckend oft auch die Autorenschaft, inklusive ihres motivatorischen Ansatzes bis hin zur Beweisführung antisemitischer Vorurteile oder Homosexualität. Vermerkt sei auch, dass Hauser in einer Person, wie vor ihm und folgend keiner, Poesie und Wirklichkeit ideal verschmelzend darstellt und so auch in Zukunft Inkarnat in der Bemaßung des neuen Menschen sein wird. Es galt also bei der Lektüre viel zu bedenken und aus der Ferne zu beobachten. Dennoch, umso näher ich Nürnberg kam, wärmte mich die Naivität Hausers, der „heilige Narr“ und beschwor mir seine Bruderschaft. Wie Hauser in seiner Zeit bei Ankunft auf dem Nürnberger Unschlittplatz „hart hereinstürzte“, glitt auch ich in die Moderne. Auffällig in diesem Sinne das Motiv der Zwangseingliederung „Gottes wilder Schöpfungen“. Der radikale Blick der beiden H.s auf das neue, unbekannte und Sinne öffnende. Alles musste neu vermessen werden, obwohl kein führendes Maß mehr existierte. Verwirrend und schwer zu handhabende Systeme der Kommunikation und Verwaltung mussten auf ihre Wertigkeit geprüft und erstmalig verhandelt werden. Kürzungen und Maßlosigkeiten erwiesen sich als sperrige Hindernisse und wurden entsorgt. Neue Räume öffneten sich, Brücken querten narbige Landschaften, Straßen transportierten exotische Waren. Gemeinsam wurden Sicherungen entfernt um Kulturen neu zu verorten.
Das Fremde, der edle Wilde
Die Wirkung Hausers auf seine Zeit, begründet sich auf der Vorstellung vom menschlichen Naturstand. Dem Idealbild des aufgeklärten Europäers vom „edlen Wilden“. In einer Zeit, rasant sich entwickelnder Zivilisationsprozesse bestätigt Hauser den Ursprung der Menschheit in einem gesitteten Rahmen. Der Tiermensch H, beweist durch seinen edlen Charakter und anziehender Herzlichkeit, der von Gott erschaffenen Reinheit Adams, die Diskrepanz zum Animalischen. Ein Mensch bleibt ein Mensch, auch wenn er nicht domestiziert wurde und seine spektakulären Instinkte weisen nur darauf hin, dass er sich gegenüber der Natur, als Krönung der Schöpfung behaupten kann. H. bestätigt somit das humanistische Selbstverständnis im Denken seiner Zeit. Das Fremde jedenfalls, ist erst einmal wild, muss an die Hand genommen, erzogen und geschult werden. Maß dafür ist der Takt des Fortschritts von Zivilisation.
Aber ist Hauser, wie vor ihm Adam dem paradiesischen so nah? Das rührende Bild seiner reinsten Güte und Selbstbewußtlosigkeit kommt jedenfalls dem vollkommensten Grade des Bildes vom ersten Menschen im Paradiese vor dem Sündenfall nah. Dabei sind wir die Schlange und bieten ihm die süße Frucht der Erkenntnis zur Verkostung. Ein zweiter Adam fällt aus dem Garten und purzelt auf die Straße. Wie aber handeln, wenn tausende Hausers auf Straßen stürzen? Ob aus dem Paradies oder der Fremde. Aus moralisch begründeter Gewohnheit nur aufhelfen reicht nicht. Der erste Griff unter die Arme schafft Nähe, Verantwortung.