Verwahrformel als Erbmasse
1965 in Leipzig geboren, aufgewachsen in Leipzig nun Familie in Leipzig. Heißt; Ostdeutsch domestiziert. Kindergarten, Schule, Lehre, Grundwehrdienst, Studium, Arbeit. Brüche inbegriffen. Ein geregelter Weg der Ontogenese trotz belastender Indoktrination. Heißt; ich fühlte mich zugehörig einer Kultur normierter Prozesse, deren symbolische Formen der Weltdeutung ich bewusst, teils unbewusst übernommen habe.
Ich arbeite als Künstler, bezeichne mich jedoch als Dokumentararchäologe. Ein von mir geprägter Begriff welcher eine Methode kreativer Intervention beschreibt. Heißt; ich bin Teil eines kulturellen Gedächtnisses, welches ich als Maß meines Urteils gegenüber dem Neuem und Fremden nutze, um ein Denken in Grenzen aufzulösen. Heißt; als Dokumentararchäologe fordere ich ein kritisches Verhältnis zur Sprache der Wissenschaft, Historie und deren geführten Diskurse zur Archäologie des Wissens.
Aus der Vielzahl an Variationen der Begrifflichkeit von Kunst, präferierte der Sozialismus streng gezirkelte Vorbilder. In seiner flächendeckenden Bestimmung und Eigentümlichkeit wurde nicht an einer Erweiterung des Kunstbegriffs gearbeitet, vielmehr in ideologisch besetzter Eindeutigkeit der Begriff von Kunst zum Bildgeber vermeintlich gesellschaftlichen Fortschritts bestimmt. Vor allem diente die Malerei als Illustrator der siegreichen sozialistischen Idee. Gegenbilder unerwünscht. Die Auswüchse einer Dekadenz der Kunst und deren abstrusen Reflexionen sollten anderswo Unruhe stiften. Das Andere hieß Ewig-gestrig, dessen Zeit und Rolle in der Geschichte der Menschheit aus marxistischer Perspektive längst abgelaufen war.
Diese Eigentümlichkeit der ästhetischen Erfahrung, vor dem Hintergrund bewusst parteilich gehaltener Bestimmung von kreativer Arbeit, motivierte mich diese Praxis zu hinterfragen. Aus meinem Blickwinkel subsumierte sich Kunst als Wahrnehmungsakt von Geschichte. Kunst als Form der Selbstreflexion und Methode der Verwertung biographischer Erfahrungen. Basis dafür, ein „barrierefreier“ Zugang zu allen medialen und handwerklichen Mitteln. Freie Räume des Denkens und Handelns. Beides vor 1990 schwer zu realisieren. Dennoch entstanden in dieser Zeit mehrere Arbeiten der Selbstverortung in klarer Bildsprache und Erkenntnisform kollektiver Erinnerung.
Ich nutze in meinem Arbeiten als Dokumentararchäologe bewusst den Begriff des kollektiven Gedächtnisses, da dieser empirisch fassbar und nicht als reine Mystifikation abzuurteilen ist. Für mich ist das kollektive Gedächtnis ein imaginärer Ort, an dem eine Sammlung als Speicher und Archiv individueller situativer und okkasioneller Erfahrungen in Bildern und Formen existiert, deren Inhalt nicht an einzelne Personen gebunden ist. Vertrauen wir also einander auf die „rechtmäßige Verwendung“ und Existenz einer solchen „Bibliothek“. Das kollektive Gedächtnis ist demnach ein Archiv allumfassender Begrenztheit tradierten Wissens, eingebracht als Erbmasse einzelner, in ein „lebendiges Habitat“. Individuelles Wissen, das bewusst oder unbewusst in Besitz genommen wurde, nicht durch Vererbung sondern durch Kommunikation und Bildproduktion „anerzogen“. Dabei generiert sich eine solche Gedächtniskultur nicht linear, sondern in Brüchen. Prozesse, die in der Dokumentararchäologie entscheidende Impulse einer kreativen Intervention provozieren können, da ihre negativen Muster dramatisierter Aussagen im kollektiven Denken fühlbare Narben hinterlassen. Narben, die in ihrer Deutlichkeit auf Verlust von Identitäten hinweisen, ein Paradigmenwechsel, welcher deutliche Spuren in der Geschichte hinterlässt und für meine Arbeit „energetische Felder“ markiert, an denen „Grabungen“ lohnen.
Brüche von Traditionen beschwören eine Wende, ein radikales Umdenken. Sie aktivieren Ressourcen kollektiven Handelns, hin zu einem befriedigenden Ersatz. Brüche von Traditionen und deren Scheitern als Kulturprozess, sind somit kontinuierlich akkumulativ. Das bedeutet nicht, dass das Kulturvolumen automatisch anwächst. Es finden nur schnellere Prozesse der Selektion statt. Dramatisch zu beobachten in den Ereignissen in Deutschland ab 1989. Ein radikal, dynamischer Moment des Umbruchs, besonders in der Dopplung der Brüche von Traditionen verschiedener Generationen. Ein entscheidender Schub der Geschichte und Multiplikator einer bilderzeugenden „Wahrheitsfindung“ für die Sammlung unserer Gedächtniskultur. Dabei erfüllen Kulturelle Erinnerungsprozesse zwei Aufgaben. Einmal die Koordination der Handlung und zum zweiten, die Kontinuität der Ereignisse. Durch Koordination wird die Gleichzeitigkeit innerhalb eines Kommunikationsprozesses ermöglicht. Diese „Abstimmung“ erschafft bzw. prägt die Ausbildung eines Zeichensystems auf einem gemeinsam erarbeiteten Horizont. Wogegen die Kontinuität Daten sicher speichert und so den Rahmen und die Bedingungen eines Kulturprozesses sichert. Das Gedächtnis als kultureller Speicher ermöglicht Wiederholbarkeit von Sprache, Bildern, Formen und Mustern, um die sich Individuen organisieren und auf die sich Kulturen beziehen können. Innerhalb dieses Kulturbetriebs, erarbeitet sich die Dokumentararchäologie Methoden der Wiederaufnahme vernachlässigter „Grabungen“ im intellektuellen und sozialen Milieu des kollektiven Vergessens und fordert Neubewertungen kommunikativer Prozeduren.