Ordnung durch Wissen
Heil Dir Maschine, Datenfressend, Datenspuckend. Eine praxisnahe Geschichte über den Nutzen von Lochkartenmaschinen des Herrn Hollerith zur Rassenselektion. Das Rassenamt SS auf Wanderfahrt zu den Goralen. Sichtung der letzten Arier.
Ostarbeit
Es ist Winter, Januar 1940. Es ist kalt und es liegt Schnee. Herr Himmler ist wieder mal auf Reisen. Hier in Polen ist es immer kalt, denkt er. Aber was soll´s. Er hat eine Aufgabe, die sein Herz wärmt. Er trifft Freunde und weiß, dort, wo er ankommt, würdigt man ihn und seine Ideen besonders. H. ist Experte in Rassenfragen und Siedlungspolitik. Nicht einer von Hunderten, nein Herr H. ist Oberster Rasse- und Umsiedlungsexperte und hat einen untrüglichen Blick für den Wert eines Menschen, und er hat die Macht, diesem Menschen zu sagen, wohin er gehen wird. H. arbeitet an seiner Vision “Ost”.
Seit wenigen Wochen erst ist er Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, eine Aufgabe im Feindesland, die ihm liegt, der er sich gewachsen fühlt. Er hat viele Ideen, viel Arbeit. Herr H. reist von Berlin nach Krakau im Zug. Nicht in irgendeinem Zug, nein, in seinem Zug, mit dem Namen *„Heinrich“_. Herr *H. reist in seinem persönlichen Sonderzug. Gemütlichkeit in plüschigem Luxus, in dem man vortrefflich sinnieren kann. In dieser wattierten Stille kann H. gut arbeiten. Bis Krakau sind es noch einige Stunden, in denen er an seiner Denkschrift für den Führer feilen wird. Viele Ausrufezeichen, klare Analysen, Grundsätzliches. Noch muss er seine Gedanken sortieren, markiger ausarbeiten. Neue Stichworte in ganzen Sätzen formulieren: _„Eindeutschungsmaßnamen”, bei den besiegten Nachbarvölkern, besser eine „rassische Siebung durchführen“, noch besser! „die rassisch Wertvollen aus diesem Brei herausfischen und heim ins Reich führen”, _„Reste als billige Arbeitskräfte abschöpfen“_- bei der Menge an grober Arbeit, welche zu leisten ist.
Erst einmal will er sich umtun unter all den Kaschuben, Lemken, Goralen und Podhalen. H. braucht Raum, „Lebensraum für seine Volksdeutschen im Osten“, denkt er väterlich in seinem kuscheligen Zug.
Bei diesem letzten Gedanken ist er wohl eingeschlafen. Heinrich erwacht. Die Landschaft hinter der Scheibe ist wieder klar. Noch im Liegen schaut er an sich hinunter. Seine Notizen liegen brav auf der Brust, nur der Stift ist ihm aus der Hand gefallen. Er schaut zu Boden und steht langsam auf. Heute soll die Fahrt von Krakau weiter in den Süden gehen. Bergan bis auf höchste Gipfel. Das Land dort oben, meint H, ist ihm so nah am Herzen. Die reine Luft, das klare Wasser – hier muss der Mensch noch so sein, wie Gott ihn erschaffen hat. Ein Herrenmensch in ursprünglichster Gestalt.
Vor kurzem erst, erinnert sich H. stolz, wurde er vom Führer zum Abendmahl gerufen. Ihm kommt die Erinnerung, wie dieser auf seiner Terrasse hoch oben im Gebirge glühend erregt vom Schöpfer des Universums gesprochen hatte, welcher ihn angewiesen habe, ein neues Menschentum zu schaffen, „eine höchste Rasse“ als Herrenvolk zur Weltherrschaft zu führen, deren Züchtung die Hauptaufgabe unseres Staates werden müsse. „Aber nur gemeinsam“, und dabei hatte der Führer bestimmend durch die Brille direkt in die Pupillen von Heinrich geblickt, „das deutsche Volk und wir“. Der Führer hatte hier eine Pause gemacht: „Wir sind in göttlicher Vorsehung berufen, diese Aufgabe zu lösen“. H. und H. waren auf dem Höhepunkt. Hypnotisiert haben sie sich schweigend in pulsierender Andacht gegenüber gestanden und durch ihr Gegenüber in eine ferne, aber doch so nahe Zukunft gesehen.
Der Zug fährt durch schneebedeckte Landschaft. Die Seen sind vereist. Traumhaft ist die Fahrt. „Vorüber an verwahrlosten Gehöften und an dem gleichmäßigen Pulsschlag der Panjewägen, die wie Blätter im Wind über die weiße Fläche hin zuckeln … Zigeuner, ohne heute und morgen … ohne Zahl … ohne Ziel …“
Alte Freunde begleiten H, Sturmbannführer Ernst Schäfer zum Beispiel. Er suchte schon in Welten höchster Höhe Spuren der Arier zu entdecken und vermaß die Schädel von Tibetern. Unter den Gefährten auch Herr Johst, Hanns Johst, ein Wortgewaltiger. Er soll das wunderbar Gesehene auf ihrer Reise in Worte fassen. So, „als würden die Augen von H. sprechen können“.
H. ist Führer, aber gleichsam Geführter durch sein neues Reich. Immer wieder lässt H. den Zug stoppen. Die kleine Schar steigt aus und schwärmt ins freie Feld. Einige bücken sich und zerbröckeln Ackerkrumen, die sie zwischen Fingerspitzen zermahlen. Mit schräg gelegten Köpfen riechen sie daran und “trinken” den Geruch der Erde. Dies war nun deutsches Land.
Wie lieblos aber wurde es behandelt. Wie traurig öde ist das Tal verwaist. Kein Bauer zwingt der Natur Früchte ab. Das wird sich baldigst ändern. Herr H. ist sicher, dass die Gerufenen Wunder werden wirken lassen. Sie werden den Regen zwingen, den Tau vermehren und die prall gefüllten Wolken zum Platzen bringen. Hier wird der deutsche Pflug das Bild verändern und Ernten werden maßlos sein. So wird es werden. GOTT sei Dank.
Weiter dampft der Zug hinein in die Landschaft bis Zakopane. „Zakopane“ so vermerkt der Poet in seiner Kladde „noble Hotels, vornehme Pensionen für Reiche und ihr mondänes Stelldichein – obere Zehntausend aus Prag, Warschau, Budapest und Preßburg, wintersportlich erste Sahne“. Negativ sinniert er: „Hier Bergvolk wie in der Schweiz oder in Oberbayern ein zufriedenes Landvolk im Brauchtum gefährdet. Aus prallen Mädeln werden Zimmermädchen, aus Holzknechten Hausdiener und aus freien, deftigen Burschen trinkgeldlüsterne Kellnernaturen“.
Am Nachmittag ist es endlich soweit. Der kleine Trupp verlässt den warmen Zug und besteigt die mit fetten Pelzen gepolsterten Schlitten der Goralen. Ihre Tracht ist märchenhaft. Die Männer tragen enge weiße Wollhosen, die in buntgewirkten Jacken enden. Auf den breiten Schultern ruht ein rohgewalkter Überwurf, der Spangen, Schmuck und Bordüren halb verdeckt. Ein breiter, flacher Filzhut schützt den Kopf gegen Wind und Wetter, geschmückt mit Bändern und Kordeln. Man vergisst bei diesem Anblick fast die Kälte, die langsam unter die Decken kriecht.
Das Bergvolk grüßt und ist beglückt über solch hohen Besuch in ihrem abgelegenen Reich. Lautlos gleiten die Schlitten dahin, nur unterbrochen von dem Geläut der Schellen. Immer dunkler wird das Land … immer klarer und offener der Himmel. In den Augen H`s. ist dies ein Völkchen ganz nach seinem Geschmack. Robust, blond und reinrassig. “Germanischen Ursprungs “, schreibt der Dichter J. “hat sich dieser Stamm in den Falten der Tatra rein gehalten, ist streng abgeschlossen geblieben, hat das Hakenkreuz in das Gebälk seiner Giebel geschnitzt, spricht seine eigene Sprache und hasst alles, was polnisch oder jüdisch ist”. Ihr Führer ist ein stolzer freier Mann mit rötlichem Haar und blauen Augen. Er spricht in seiner Bergsprache unseren Führer an und gelobt ihm offen mannhafte Treue. H. blickt seinem Gegenüber fest in die strahlenden Augen, er spürt, dieser Mann ist im Geiste edel und rein. Rein und unverfälscht wie die Natur hier oben. Rein, wie auch der Mensch sein soll.
Die Stuben sind sauber, das Heu trocken. Nichts Unnützes liegt im Weg. Alles zeugt von fleißigem Gebrauch und schönem Dasein. H. ist begeistert. Alle sind begeistert ob der Würde und Reinheit dieser edlen Rasse. H. kann seine Freude kaum zügeln. Hier hat er gefunden, wonach so viele schon geforscht und in der Ferne gesucht haben. Am liebsten würde er selbst die Köpfe dieses kleinen Völkchens vermessen. Ihren Längen- Breitenindex und ihre Schädellänge erfassen, katalogisieren und somit dem Verdacht des Untermenschlichen entreißen. Seine Hand schützend auf diesen verlorenen Stamm von Urgermanen legen, ihn nähren und mehren. Eine große Aufgabe. Aber H. muss ganzheitlich denken. Größeres bewirken – Aufgaben verteilen. Alles kann er nicht schultern. Schäfer ein herausragender Menschenkenner ist ja mitgereist. Er wird seinen Sturmbannführer fragen, ob dieser einen gewissenhaften Soldaten für die Sache weiß, den man mit dieser wichtigen Aufgabe betrauen kann. Einer, der in seiner Abwesenheit das Werk in Angriff nimmt.
Maßarbeit
„Alles den Deutschen fremdartige, fälschlich Übergestülpte muss eliminiert werden“, schreit H. seine Hörerschaft an, „jüdisches Blut und deren erlogene Wissenschaft muss durch arteigenen, arischen Lebenssaft ersetzt werden.” Der Forscher Sch. hört die Sätze von H, versteht aber nicht, worauf im Detail dieser hinweist und was genau H. von ihm will. Sch. ist Forscher, Zoologe, mit Rassen kennt er sich aus. Nicht aber im Kampf. Sch. ist kein Soldat. Vor wenigen Jahren lernten beide sich kennen. Beide sind zerfressen vom Ehrgeiz. Das eint sie. Herr H. im ideologischen Bestreben die Welt zu retten, Sch. die Welt zu bereisen. H. instruiert weiter. Er glaubt fest an eine mythische Wahrheit über den Ursprung der Welt, die himmlische Abkunft der Arier und ihre Auserwähltheit gegenüber allen anderen minderwertigen
Lebewesen.
Plötzlich weiß Sch, warum er hier ist, das ist seine Stunde. Jetzt kann er seinen Reichsminister um Unterstützung bitten. Um Hilfe für eine Reise nach Tibet, in das Land des Göttlichen. Schnell sind beide einig. Ideal der Moment. H. hat keine Zeit, die Welt zu bereisen. Deutschland braucht ihn, er ist unabkömmlich. Sch. ist beseelt vom mythisch-, göttlichen Kosmos. Er wird ihn finden, das weiß er, irgendwo auf dem Dach der Welt.
Die Reise war beschwerlich aber es hat sich gelohnt. Weit weg von allem Deutschen ist Europa entschwunden. Die Luft ist dünn. Körper und Geist arbeiten schwer. Nachrichten aus der Heimat hüllen sich in Watte, kommen nicht an im Zentrum seines Denkens. Die Heimat ist im Umbruch, soviel weiß er, irgendwo wird gekämpft. Das alles hat nichts mit ihm zu tun. Nur noch wenige Tage verbleiben ihm, den Gipfel der Auserwählten zu erkunden. Deutschland wird dankbar sein. H. wird ihm danken. Voll beladen mit Arbeit für Jahrzehnte kehrt er zurück. Tausende Objekte müssen ausgewertet, Tausende Meter Film archiviert werden. Die Mühen der Ebene.
Heute jedoch, vielleicht auch für Wochen, schweigt des Forschers Universum. Heinrich ruft und die Arbeit im Archiv muss warten. Neue Aufgaben stehen an. H. erwartet Sch. am Bahnhof. Es ist Krieg und Deutschland siegt. Hochlanderfahren und expeditionsgestählt, weiß keiner so gut wie er, wie sich vor Kälte zu schützen ist. Sein Rat ist gefragt. Denn Kälte nagt an den Soldaten, die weiter nach Osten ziehen. Im Zug nach Krakau, gemeinsam mit Genossen, erfahren im Vernichten, führt er die Fachgespräche. Kann mit Wissen glänzen. Im Plauderton wird referiert, gefachsimpelt und Erfahrungen ausgetauscht. So hat ein Herr von der SS erlebt, wie seine Truppen „polnische Irre erschossen haben, wobei einige trotz minus zwanzig Grad am nächsten Tag noch lebten“. Sehr praxisnahes Wissen, denkt Sch. und schweigt.
Wieder hält der Zug auf freiem Feld. Sch. steigt aus, um sich die Beine zu vertreten. H. kommt auf ihn zu und begrüßt ihn mit Handschlag. Sie müssen ihre Handschuhe nicht ausziehen, dafür kennen sie sich zu gut. H. ist wieder begeistert von der Reise und dem Ziel. Er muss nicht fragen, wie sein Sturmbannführer das Reisen findet. Er weiß es. Kälte macht seinem Schützling nichts aus, aber das ist nicht die Frage. H. möchte eine Personalie klären. In Bezug auf seine Goralen. Sch. wisse schon, das wilde Bergvolk im Herzen Europas und nun im Herzen Germaniens. Ein fleißiger Forscher wird gesucht, Rasse, Blut und Boden muss selektiert werden. „Haben wir schon nicht die Urheimat der Arier auf dem Dach der Welt gefunden“, formuliert der Reichsführer sein Begehr, „besteht die Möglichkeit der Wanderschaft?“.
Schäfer kann nicht sofort antworten, möchte seinem Führer auch nicht widersprechen. Ja, in Tibet, auf 4000 Meter Höhe, kennt er sich aus. Allein in klimatisch abgeschlossener, lebensfeindlicher Umgebung, hat sich im dauerhaften Kampf um Auslese allein die Urform durchsetzen können. Aber hier, in einem kleinen Zipfel Polens, eine solche Evolution? Sch. muss nicht antworten, sein Führer doziert weiter, ohne eine Antwort vom Zoologen zu erwarten. H. ist sich sicher, „sein Bergvolk ist rasserein in seiner Art geblieben, stammt direkt von einem indogermanischen ausgewanderten Stamm ab und lebt heute direkt vor unserer Haustür, konzentrierte DNA, gekühlt erhalten in den Karpaten”.
„Wir, lieber Sch.“, H. schaut seinen Sturmbannführer in die Augen, „müssen diesen Schatz nur bergen. Sie sind im Archiv beschäftigt, ich weiß, aber bestimmt wissen Sie einen fähigen Mann?“ Sch. denkt kurz nach und findet den Richtigen. „Anton Plügel, Dr. Plügel, Adolf als zweiter Vorname. Rassenforscher. Jetzt Dreißig. Mit 17 schloss er sich unserer Bewegung an und gründete mit 19 eine NSDAP-Ortsgruppe. Sehr präzise im Denken, linientreu. Mit seinem Wissen maximal praxistauglich.”
„Wunderbar“, nickt H. seinem Getreuen zu. Der Reichsführer dreht sich halb zu seinem Adjutanten um und gibt kurz Anweisung. Das Gespräch ist beendet. Sch. grüßt militärisch. H. verschwindet in seinem Salonwagen. Auch der Zoologe steigt wieder in den warmen Zug, gewiss, dem Land, dem Führer und überhaupt der Menschheit einen guten Dienst erwiesen zu haben.
Kopfarbeit
Dr. P. hat es nicht weit bis in die Berge. Er muss nach Zakopane. Goralen auslesen. Alles was er braucht, passt in einem Koffer. Er arbeitet in Krakau am Institut für Deutsche Ostarbeit. Zwar ist er nur Stellvertreter, aber bald schon Leiter der Sektion „Rassen- und Volkstumsforschung“. Der Reichsführer persönlich hat ihn für so Wichtiges berufen. P. soll eine Linie ziehen. Eine Trennlinie der Typologie im Ostrassenkreis. Nicht einfach, in diesem wabernden Völkerbrei einen klaren Strich zu setzen. “Die gesamte Zucht dieses Raumes ist durch lange Zeit vollkommen schief gelaufen und auf ein unheroisches Ideal umgestellt worden“, flucht P. Seine Mitarbeiterin Frau Fliethmann nickt beflissen und packt weiter ihre Koffer. Sie reist mit ihrem Chef für vier Wochen an die Forscherfront. In die Kälte und in die Berge. Da muss einiges bedacht werden.
Dr. P. ist Nationalsozialist im besten Sinne. Aktiv in der HJ, Standortschulungsleiter, pünktlich und streng. Sein Tag ist minutiös getaktet und exakt geplant. Ziffern und Zahlen haben es ihm angetan. Mit mathematischen Methoden möchte er die Anthropologie wirtschaftlich rentabel machen. Techniken entwickeln, die in wenigen Augenblicken Eignung der Rassen zur Tüchtigkeit darstellen und ihre Erträge ausrechnen können. Ethnie, Körperbau, Schädelform, Nasenform, Augenfarbe, Behaarung, Haarfarbe, – dessen Struktur und Ansatz, Penis- und Skrotumlänge. Penibel geführt ist solch eine Datensammlung von unschätzbarem Wert. Mithilfe einer universellen Rasseformel kann ein Spezialist schnell den rassischen Grad an Deutschtum filtern. Automatisierung ist das Stichwort. P. ist fasziniert von IBM. Das Unternehmen, weltweit in technologischer Mission unterwegs, um ihr Lochkarten- und Kartensortiersystem zu vermarkten, regt seine visionäre Denkkraft an. Mit dieser Technik, so hörte der Forscher erst kürzlich, ließen sich 24 000 Karten pro Stunde zählen. Das hieße, wenn auf einer Karte alle Informationen über einen Menschen enthalten wären, auf der Erde leben zurzeit ca. 2,2 Milliarden Menschen …
P. überschlägt die Zahlen, kommt aber bei 24 Stunden am Tag und der Anzahl von 24 000 Karten außer Tritt. Er muss sich später noch einmal an seinen Schreibtisch setzen, um dieses märchenhafte Tempo zu erfassen.
Heute aber wartet viel Arbeit auf ihn. Hunderte Körper müssen vermessen, jedes Maß vermerkt, Markantes beschrieben, geordnet und später in einer mäandernden Ablage archivieren werden. Einmal falsch einsortiert, sind die Daten für immer verloren. Die Fakten auslesen müssen andere. Um diese Arbeit beneidet P. niemanden. Er ist lieber im Feld, an vorderster Forscherfront. An frischer Luft. Er ist froh, hinaus aus der Stadt, hinauf in die Berge zu kommen. Gesunde Luft und Natur genießen. Der Pole, hat P. gehört, hält nicht viel von den Goralen. Räuber seien das. Im Sommer faul auf der Weide beim Vieh und im Winter auf Beutezug in den Wäldern. Mit einer kleinen Axt am langen Stiel würden sie ihre Wege markieren. In eigener Zeichensprache, aus Mustern und Kerben verschlüsselten sie ihre Nachrichten für den, der sie lesen kann. Herr H, letzten Winter unterwegs im Gehölz, erinnert sich P, war jedenfalls begeistert gewesen, hatte den Code als arische Zeichen entschlüsselt und darin eine Urformel des Lebens gelesen.
Fünftausend ausgearbeitete Karteikarten im großen DIN-Format, vorgedruckt auf soliden Karton, schleppt P. in seinem Koffer, plus Fotoapparat. Frau F. trägt dafür die Reiseschreibmaschine und, wichtig, einhundert Farbfilme. Das Grün, Blau und Rot der Bergbewohner-Trachten soll intensiv leuchten. Muster, die das Auge verführen. Der Schmuck der Männer gleicht denen der Frauen. Schleifen, Kämme, Broschen, Umhänge, Schals und Muschelschnüre an den Krempen der Hüte. Im Tanz rauscht das Farbenmeer.
P. ist nun schon ein Jahr im neu geschaffenen Generalgouvernement. Er hat sich gut eingearbeitet. Weiß um die Probleme der Ostarbeit. Auf einem Gebiet, so groß wie Belgien, ist der Anteil an Ostrassen beträchtlich und diese sind verhältnismäßig rein. Dennoch ist die Zuordnung kompliziert. Die bisherigen Begriffe der Kennzeichnung reichen bei Weitem für diese Vielfalt nicht aus. Zumal sich viele sudetischen, ostbaltischen, hellostischen, dunkelfinnischen, präslawischen, lapponoialen, osteuropiden Rassen in ihrer Definition nicht decken, sondern vielfach überschneiden. Weiter, tief im Osten, in Wald- und Sumpfgebieten, treten zudem noch viele grobe und altertümliche Formen auf, die weder beschrieben oder erfasst wurden.
Heute aber geht es erst einmal auf Reisen zu einem reinen Volk. Abgeschieden über Hunderte von Jahren. Mit eigener Sprache und Kultur. Da lässt sich sicher trefflich materialisieren. Frau F. ist pünktlich am Bahnhof, und das Forscherpaar besteigt den Zug nach Zakopane. Eine Stunde Fahrt durch schönste Landschaft liegt vor ihnen. Dennoch wollen sie noch einmal über ihre Arbeit sprechen. „Das Kartenwerk wird umfangreich, ähnlich dem Atlas der deutschen Volkskunde“, sagt der Doktor, halb zu Frau F, halb aus dem Fenster schauend. „Wie schon gesagt, mit besonderer Berücksichtigung der in diesem Raum so bedeutsamen ethnopolitischen Fragen müssen die einzelnen Volksgruppen in ihren Strukturen kartografiert werden. Nachweise zum Nachleben germanisch-völkerwanderungszeitlicher Elemente können im Einzelnen als Wegweiser beim Finden des versickerten deutschen Blutes von Bedeutung sein. Die großen Kolonisationswellen als Ursachenforschung
des Volkstumsverluste“ Frau F. unterbricht ihren Chef. „Viel Arbeit, ich weiß, aber es ist Krieg und Juden und Polen werden fürs Grobe gebraucht, wir müssen uns beeilen, bevor uns das Material vor den Augen entrissen wird. Meine Idee wäre, auf Feldarbeit zu verzichten und in die Entlausungsanstalten zu gehen. Dort wird uns das Material aus den Dörfern über kurz oder lang zugestellt. Dort ist das Messen rationell zu bewerkstelligen, sicher zehnmal schneller als an jede Tür zu klopfen.” P. findet die Idee gar nicht schlecht. Vielleicht später. Wenn die Arbeit am Bergvölkchen beendet ist. „Eine gute Idee, Frau F, praktisch und effizient. Leider habe ich nun den Faden meines kleinen Vortrages verloren. Aber eigentlich ist ja alles gesagt.” Beide schauen aus dem Abteilfenster in die Landschaft. Der Zug gewinnt an Höhe, aber nicht an Geschwindigkeit.
Karteiarbeit
In Zakopane werden Herr Dr. Plügel und Frau Fliethmann, genannt Fritzi schon erwartet. Sie steigen in einem PKW mit starkem Motor und breiten Reifen. Es hat geregnet, und viele Straßen in den Bergen sind nur so passierbar. „Es müsste ein anthropometrisches Datenerfassungssystem entwickelt werden, ähnlich der Hollerith-Methode zur Lochkartenverschlüsselung,“ sinniert P. laut in die Fahrgeräusche hinein, „deren Messwerte, von uns durch Perforation maschinell eingegeben, könnten später leicht von einem Datenleser ausgewertet werden.“ Frau F. lacht kurz auf, denkt aber weiter. Demnach müssten alle Daten noch verschlüsselt werden. Aus Variablen werden Ziffern. Klingt, naja, nach mehr Arbeit. „IBM ist da wahrscheinlich dicht dran und unsere Büros vom Ahnenerbe bekommen wohl demnächst die neueste technische Ausstattung von den Amerikanern. Sie werden sehen, Frau F, viel Zeit vergeht nicht mehr und das Identifizieren lässt sich mit einer Taste bewerkstelligen.”
„Messungen am Fließband“, antwortet Fritzi und lacht ihren Chef an „gegen eine Arbeitshilfe hätte ich nichts einzuwenden, wir müssten das Volk nur dazu bringen, selber die Löcher in die Karte zu stanzen und ans Rassenamt zu senden. Kein mühsames von Tür zu Tür gehen, klopfen, überzeugen und zeitraubendes Vermessen. Zumal es für eine exakte Messung wichtig ist, den Körper zu entkleiden. Überreden Sie mal eine 80ige jährige Bäuerin, sich bis auf das Unterhemd zu entkleiden, um von kalten Instrumenten befingert zu werden“.
Der Wagen hält. Sie steigen aus. Im Dorf hat sich ihre Ankunft schon herumgesprochen. P. hält eine kurze Ansprache und grüßt in die Menge mit dem Hitlergruß. Die Versammelten grüßen zurück, die Arbeit kann beginnen. Sie werden Monate, wenn nicht gar Jahre brauchen.
An den Abenden in seiner Unterkunft zieht Herr P. sich oft zurück und bastelt an seiner Erfindung. Ein paar jungfräuliche Hollerith-Karten hatte er sich besorgt und nun legt er kleine Raster und Tabellen auf den karierten Flächen an. Er nimmt einen ausgefüllten Messbogen vom Stapel, verschlüsselt die Daten und locht die Daten in den stabilen Karton. Sein Perforator beißt sich durchs Material und hinterlässt ein wunderschönes Muster. P. hält die Karte vor das Licht seiner Schreibtischlampe, und betrachtet verzückt die projizierten Punkte an der Wand. Er hat einen kleinen Papiermenschen erschaffen. Reine Daten, unschuldig. Viel schöner als das Original. Er ist sich sicher, dass sein Verfahren in der Praxis fruchten wird. Lochkarten und Bericht müssen nach Berlin versendet werden.
Täglich wartet er auf Antwort vom Rassenamt SS. Nachfragen ist sinnlos. Alle haben zu tun. Es heißt erst einmal, weiter Messblatt für Messblatt auszufüllen. Schädelzeichnungen anzufertigen und Volkstum nach arischer Substanz zu durchforschen. Das Material häuft sich. Erste Kisten werden nach Krakau in die Burg transportiert und eingelagert. Fitzi, nun Dr. Fliethmann, ist abkommandiert in die Entlausungsanstalt, ins jüdische Ghetto nach Tarnow. Ihr Vorschlag, Messungen hier vorzunehmen wurde bewilligt. Leider wird ihr das Material unter den Händen weggezogen, ins Unbekannte deportiert. „So schnell kann ich gar nicht messen, wie die Juden verschwinden“, klagt sie in einem Brief an Herrn P. Jedenfalls muss sie sich nicht mehr die Füße wundlaufen. Das Material kommt zu ihr, nicht anders herum.
Heute kommt endlich Post. Dienstlich, von höchster Stelle. Der Forscher ist etwas aufgeregt vor dem Öffnen des Umschlags. Der Absender ist jedoch nicht der, den er erwartete. Es ist der Befehl zur Einberufung an die Front. Königsberg. Mitten im Mai. Es ist die schönste Zeit in den Bergen. Aber Befehl ist Befehl. Vielleicht hat man seinen Brief mit der wunderbaren Idee nicht erhalten. Ich bin also abkömmlich, denkt er.
P. packt seinen Koffer. Seine Lochkarten mit den hübschen Mustern nimmt er mit. Viele sind es über die Zeit geworden. Eine schöne Sammlung. Vielleicht kann er ja später an seinem Projekt weiter arbeiten. Herr P. schaut sich noch einmal im Raum um. In seiner Erinnerung flammt der Moment auf, als der Schatten einer Lochkarte, mit dem Muster aus Lichtpunkten die Wand tapezierte. Wie ein Kind, staunend unterm Sternenzelt.
Die Zeit drängt, sein Zug fährt in wenigen Minuten. Die Züge im Reich sind pünktlich, er will es auch sein.
IBM und das „Köder und Haken“ Geschäftsmodell
2001 veröffentlichte Edwin Black in den USA seine Recherchen zur Verstrickung des Weltkonzerns IBM in die Verbrechen der Nazis. Titel des Buches: „IBM und der Holocaust“. Hier vertritt der Autor die These, dass die Technologie von IBM den Völkermord ermöglichte, vor allem durch die Herstellung und Tabellierung von Lochkarten auf der Basis von Daten aus der Volkszählung. Der europaweite Vernichtungsfeldzug der Nationalsozialisten gegen die Juden bedurfte einer reibungslosen Logistik. Kernstück dieses Mörderwerks waren von IBM und seiner deutschen Tochter DEHOMAG zur Verfügung gestellte Lochkartensysteme und HOLLERITH-Maschinen. Unterlagen und Verträge belegen die Treffen der Konzernführung mit Hitler und ihre detaillierten Absprachen mit der Naziführung, um die Monopolstellung des Mutterbetriebes in Amerika zu sichern und Millionengewinne zu erwirtschaften. IBM entwickelte hierfür auch ein spezielles Vertriebssystem. Maschinen wurden günstig gestellt, Verbrauchsmaterialien und Wartung mussten jedoch teuer bezahlt werden. Speziell die Hollerith-Maschinen benötigten einen glatten, speziell präparierten fusselfreien Karton. Falsche Papiere verursachten Schäden. Hieß; ausschließlich nur DEHOMAG Produkte durften verwendet werden. Ein heute noch effizientes „Razor & Blades“ Geschäftsmodell.
Bald schon beginnen die Maschinen zu rattern. Querverweise zwischen Namen, Adressen, Stammbäumen und Bankkonten werden erstellt. Opfergruppen werden Zahlen zugewiesen: Homosexuelle erhielten zum Beispiel die Zahl Drei, Juden die Zahl Acht und Sinti und Roma die Zahl Zwölf.
Mit der Besetzung Europas erfolgten Zählungen in den eroberten Ländern. Auch hier spielten die deutsche IBM-Niederlassung und nach der Eroberung Polens neue polnische Tochterfirmen eine wichtige Rolle.
Im Osten Europas hatte die Erfassung der Juden Priorität. Effizient pulsierten auch hier die Nadeln im Papier. Jedes Konzentrationslager besaß seine eigene Hollerith-Abteilung, um Daten der Gefangenen zu erfassen. Ohne IBM-Ausrüstung, so argumentierte Black, Instandhaltung und den Nachschub von Kartenmaterial hätten Hitlers Lager nicht die riesigen Menschenmengen bewältigen können. IBM nahm spät Stellung zu den Vorwürfen und verglich entwertend ihre Maschinen mit Bleistiften von Koh-I-Noor. Demnach müsste die heute noch existierende Firma ebenso moralisch geschasst werden, da diese ja auch Schreibhilfen an die Ämter in Nazideutschland und an die KZs geliefert habe.